Loblied der Tränen

Pastorin Natascha Hilterscheid

© Stefanie Rasmussen-Brodersen

von Pastorin Natascha Hilterscheid, Arbeitsbereich Frauen Altholstein


Ich habe festgestellt, dass dieser Mundschutz, die Maske, die wir seit zwei Jahren tragen (und nun nicht mehr tragen müssen, aber dürfen), ungeheure Vorteile hat. Denn, wenn man weint, kann man die Tränen einfach laufen lassen. Sie kullern über das Augenlid und Tränensäcke direkt auf die Maske und werden von ihr aufgesogen. Und sie kann viel aufsaugen, das hab ich bereits mehrmals getestet. Das Beste ist: Die Maske trocknet wieder und ist daher wiederverwendbar. Denn da Tränen zu den wenigen Körperflüssigkeiten gehören, zu denen wir nicht „Igitt“ sagen (erstaunlich eigentlich), ist es durchaus vorstellbar, die Maske, sobald sie getrocknet ist, wieder aufzusetzen. In Zeiten der Nachhaltigkeit auch nicht ganz unwichtig, denn dies spart Unmengen an Taschentüchern.

Doch ich schweife ab. Weinen. Tränen laufen lassen. Ich finde, im Moment gibt es genügend Gründe zu weinen. Und auch wenn die unzähligen, gemalten und aufgeklebten Friedenstauben, die Friedensandachten, die Spenden und die Demos gut und wichtig sind, glaube ich, wir sollten bei all dem Aktionismus nicht vergessen zu weinen. Denn die Ohnmacht, die Fassungslosigkeit und die Furcht, die unvermeidlich in unsere Seelen sickern, sollten wir ebenso ernst nehmen, wie unsere Visionen und unsere Hoffnung.

In einem Psalm (56,9) vertraut ein Mensch darauf, dass alle Tränen in einem Krug von GOTT aufgefangen werden. Dies ist ein Trost, denn es bedeutet, dass sie nicht runtergeschluckt werden müssen und dass sie gesehen werden. Aber bevor uns das zum Trost werden kann, müssen wir sie fließen lassen. Ja, ich glaube, wir sollten alle mehr weinen in dieser Zeit!