"Wie anstrengend!"

Pastor Jochen Hose

Es geht gegeneinander. Und immer öfter kommt Wut dazu. Die Wut wird von den Wütenden angeheizt und in Kommunikationskanäle geflutet. Die eigene Macht wird erlebt und die Stärke der Unterstützergruppe. Das fühlt sich gut an. Man kann dem anderen zeigen, wer man ist.
Das Fernsehen zeigt Bilder von Menschen auf der Straße, von leeren Bahnhöfen, von Trillerpfeifen und Hupkonzerten. Ich denke mir: In Diktaturen geht das nicht. Schön, dass unsere Form des Miteinanders Treckerfahrten, Hupkonzerte und Bahnstreiks möglich macht.
Das Gegeneinander frisst Zeit und Energie. Wir merken das in der Familie, wenn kleine Kinder trotzig sind und der Start in den Kindergarten nicht so geschmeidig läuft wie gedacht. Dass es Auseinandersetzungen gibt, gehört auch in die Familie, aber in ihr fällt es leichter, sich in den anderen hineinzuversetzen, mitzufühlen. Die Grundlage ist: Wir gehören zueinander. Wenn es in der Bibel heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (3. Mose 19,18), ist es ein Aufruf, das Ganze zu sehen und sich selbst dabei nicht aus dem Blick zu verlieren. In der Wut geht es gegeneinander, und das ist anstrengend. Gott denkt nach christlicher Überlieferung an alle und alles. Wenn wir zu ihm beten, kommen wir nicht darum herum, auch die Perspektive der Anderen einzunehmen.