Eigentlich bin ich ganz anders

von Pastorin Britta Timmermann, Klinikseelsorgerin am UKSH Kiel


Eigentlich bin ich ganz anders - ich komme nur so selten dazu. Dieser Spruch kommt mir in der letzten Zeit immer wieder in den Sinn - in meinem eigenen Leben, aber auch in der Begegnung mit anderen. Da ist dieser junge Mann, der endlich geschafft hat, er selbst zu sein. Vor fünf Jahren habe ich ihn im Klinikum kennengelernt, wo er fast an den Folgen seiner Magersucht gestorben wäre, weil sein damals noch weiblicher Körper ihn so angeekelt hat. Eine Freundin um die 60, die sich immer mal wieder fragt, ob ihr Leben erfüllt ist und was sie noch tun möchte. Eigentlich wollte sie KFZ-Mechanikerin werden - aber das war quasi unmöglich damals, als Mädchen. Der Mann, der zerrissen ist zwischen seiner stabilen, funktionalen Ehe und der Intensität, die er in der Affäre mit einer Kollegin erlebt.

Eigentlich. Wenn ich Geld hätte. Wenn ich andere Eltern hätte. Wenn ich einen anderen Körper hätte. Wenn ich mehr Zeit hätte. Fahrradkette.

Was willst du? Wie willst du dein einmaliges, befristetes Leben leben? Wohin? Wie tief? Wie weit? Mit wem? Nie ist alles perfekt. Aber für mich ist klar: Ich will so authentisch, so intensiv, so erfüllt leben, wie es irgendwie geht.

Ich glaube, darin steckt Gottes Zuspruch und Anspruch an mich. Dafür sind Entscheidungen notwendig, manchmal auch Trennungen. Ein gut abgewägter Kompromiss - oder gerade das Ende aller Kompromisse. Und für manches braucht es eine kleine oder große gesellschaftliche Revolution.