Geistliche Kolumnen Neumünster/Kiel
von Pröpstin Almut Witt und Propst Stefan Block
Geistliche Kolumne von Propst Stefan Block
Schrecklich.
Mittwochabend, ich bin im Auto unterwegs in meinem Kirchenkreis zu einem Ge-meindetermin in Brokstedt. Erst jetzt höre ich die schreckliche Nachricht im Autoradio: „Brokstedt – Messerattacke im Zug. – Zwei Tote, viele Verletzte.“ Und schon taucht vor meinem Auto das Blaulicht von Polizeifahrzeugen auf. Die Straße zur Kirche ist gesperrt, ich werde umgeleitet. Ich bin in großer Sorge und zugleich dankbar, dass unsere Kirche längst mit unseren besonders ausgebildeten Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern vor Ort ist.
Dann, im Brokstedter Kirchengemeinderat: Große Betroffenheit. „So etwas bei uns! Schrecklich! Da fehlen einem die Worte!“ So geht es uns allen. Aber unsere Gedanken sind umso mehr voller Mitgefühl bei den Opfern, den Menschen im Zug, den Einsatzkräften. Unsere ratlosen, tieftraurigen Fragen aber bleiben: Warum kann so etwas passieren – immer wieder? Was ist das für eine Welt? Keiner kann das wirklich beantworten.
Mir kommen die Worte aus dem 22. Psalm in den Sinn: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht. Und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ Müssen wir tatsächlich mit diesem schrecklichen Ereignis in Brokstedt, mit all dem Leid und Unrecht in der Welt allein zurechtkommen? Ist der Himmel leer? Ich weiß es nicht. Mein Glaube sagt „Nein“ und wird doch hart auf die Probe gestellt. Aber würde es Ratlosigkeit und Schmerz nicht noch vergrößern, wenn ich nicht protestieren könnte?
Auch deshalb möchte ich dagegenhalten. Und das Gebet ist dafür die Sprache, die mir hilft. Auch mit Worten aus Psalm 22: „Herr, sei nicht ferne, eile, mir zu helfen!“ Ja: Gott, wo bist du? Gott, hilf doch! Hilf doch all denen, die dies miterleben mussten! Hilf uns, das Leid gemeinsam zu tragen, einander zu helfen, wo es geht. Und hilf uns trotz allem die Hoffnung nicht aufzugeben, dass die Welt nicht gottverlassen ist.
Geistliche Kolumne von Pröpstin Almut Witt
Klagen und weinen
Mitten im Alltag, der Tod. Inmitten von Alltäglichem sind Menschen von Gewalt und Leid schwer getroffen. In einem Zug, den viele tagtäglich nutzen, um zur Arbeit zu fahren oder wieder nach Hause; um sich zum Einkaufen auf den Weg zu machen oder Freunde zu besuchen, geschieht Schreckliches, ja Unvorstellbares. Aus dem Fernsehen sind uns solche Ereignisse leider vertraut, aber meist geschieht dies weit weg. Jetzt geschah ein Verbrechen in unserer Nähe. Wut und Trauer sind da, Erschrecken und Angst, unfassbares Leid für die unmittelbar Betroffenen.
Auch bei denen, die nicht unmittelbar betroffen sind, stellt sich ein Erschrecken ein: „Das hätte auch mir passieren können! Oder mir nahen Menschen!“
„Gott, höre mein Gebet und lass mein Schreien zu Dir kommen!“ (Psalm 102). Diese Worte sind in einem Moment der Verzweiflung gerufen, ja geschrien. Auch wenn ein Gebet das Leid nicht rückgängig macht, es hilft, Schmerz, Wut und Trauer herauszulassen. Denn stumm bleiben, tut auf Dauer nicht gut.
Gott muss und kann es hören, was uns erschreckt und belastet. In Gott können wir ein Gegenüber erleben, dass unsere Wut aushält und das Leid mitträgt. Das ist die große Kraft, die unser Glauben uns schenkt. Ganz konkret wird dies im Gebet spürbar. Und Beten heißt eben nicht nur, im Stillen mit Gott reden, sondern auch klagen und weinen und so der Hoffnung eine Tür öffnen.
Das wünsche ich uns von Herzen, dass trotz allem und in allem unsere Hoffnung stärker ist. Und dass wir erleben, wir sind darin nicht allein.