So viel Liebe - trotz allem
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von Pastor Wolfgang Miether, Vicelin-Kirchengemeinde Neumünster
Seitdem ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere. Dieses Bekenntnis wird dem Denker Artur Schopenhauer zugeschrieben, und seit mehr als zweihundert Jahren wird es gern zitiert, oft scherzhaft und leider auch im Ernst. Für ein paar Schritte kann ich dem Gedanken folgen: Hunde strahlen oft eine Ruhe aus, die mir guttut; Eichhörnchen sind immer ganz bei der Sache, und Kraniche beneide ich um ihre stolze Freiheit, in der sie Großes leisten und ertragen.
Umgekehrt sind Menschen dazu in der Lage, jeden Glauben zu zerstören: den Glauben an das Gute, an die Liebe, an die Vernunft, an den Sinn menschlicher Ordnungen und auch den Glauben an Gott.
Trotzdem kann und möchte ich die Liebe zum Menschen nicht aufgeben. Ich finde mich immer wieder in Situationen, in denen ich glücklich über Menschen bin, und das sind dann nicht nur meine Liebsten. Auch in zufälligen Begegnungen können wir glücklich werden, dann geht uns unerwartet auf, wie viele liebenswerte Menschen uns umgeben, und uns geht auf, wie wir gemeint sind: Menschen, die ihr Leben teilen; Menschen, die einander nahekommen und verstehen; Menschen, die gemeinsam eine Stadt oder ein Land formen können, in dem jeder zu seinem Recht kommt.
Nähe macht nicht immer glücklich, sie ist auch anstrengend, deshalb halten wir sie nicht mit jedem Menschen aus, und nicht jeder von uns kann Nähe in gleichem Maße ertragen. Aber Respekt, einen Vorschuss an Vertrauen und Sympathie: Das brauchen wir alle, und das brauchen wir von Menschen.
Ob wir uns dafür öffnen, ob wir Nähe riskieren und Vertrauen wagen, das ist immer unsere Entscheidung – trotz allem, was wir über unsere Artgenossen wissen. Auch das ist menschlich, und darin können wir auch Gott verstehen: Wenn wir unseren Mitmenschen treu bleiben.