Passionsandacht in der Vicelinkirche Neumünster
© Jürgen Schindler

Kleine Andacht, große Wirkung

Großer Zuspruch für die Passionsandachten in der Vicelinkirche in Neumünster

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"Es kommen immer zwischen 50 und 70 Leute", freut sich Pastorin Simone Bremer. Ein Mittwochabend in Neumünster, 18 Uhr, es regnet und in der evangelischen Vicelinkirche feiern erstaunlich viele Menschen eine Passionsandacht. "Vor Jahren saßen wir da, wenn’s hochkam, mit zehn Leuten. Wir dachten schon darüber nach, es bleiben zu lassen", sagt Bremer. Doch dann wagte die Theologin im Februar 2018 zusammen mit Kantor Karsten Lüdtke einen Neustart mit einer klaren und festen Form. Seither nimmt der Zulauf beständig zu.

Woher kommt das?

Das Licht ist gedämpft in der Vicelinkirche an diesem Mittwochabend zur Passionsandacht. Ein Spot lenkt die Blicke auf Christus am Kreuz, eine Szene mit Skulpturen gleich links vom Altar. Ein Vokalensemble singt eine Strophe aus einem Choral von Johann Sebastian Bach. Die Musik des Leipziger Thomaskantors zieht sich wie ein roter Faden durch die Andacht. "Unser Bachchor singt an Karfreitag immer ein großes Werk, dieses Mal ist es die Matthäuspassion von Bach. Und in der Passionsandacht machen wir uns anhand dieses Stückes auf den Weg nach Karfreitag", erklärt Bremer. Das heißt, jeden Mittwoch wählt die Theologin eine andere Stelle aus der biblischen Leidensgeschichte Jesu aus und verbindet sie mit der Musik der Matthäuspassion.

Der Einstieg in Bremers sogenannter Auslegung ist dann auch der Choral "Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe". Die Pastorin spannt darin einen Bogen, von der hysterischen Volksmenge, die vor 2000 Jahren in Jerusalem forderte, Jesus zu kreuzigen hin zu Donald Trump und der Erstürmung des Kapitols in Washington. "Er hat den Demonstranten zugerufen: ‚Erstürmt sie‘ - kreuzigt sie!" Im gleichen Atemzug gibt die Theologin zu bedenken "Wie Schafe folgen wir denen, die die Macht haben und verurteilen blindlings in deren Namen." Als Bremer endet, singt das Vokalensemble den besagten Choral von Bach.

"Ich genieße es, diese Musik zu hören, und mich Stück für Stück auf die Matthäuspassion vorzubereiten", sagt Inka Köller. Mit ihrem Mann Michael ist sie aus Bad Bramstedt in die Vicelinkirche gekommen. Er wiederum findet die Form der Passionsandacht abwechslungsreich, wo auch die Gemeinde immer wieder ihren Einsatz hat und singt. Beide freuen sich schon auf die Aufführung am Karfreitag. "Das ist schon ein Leuchtturm der Kultur", meint Michael Köller.

Andachtsbesucher Matthias Laurien aus Neumünster wirkt beseelt, wenn er von der Passionsandacht spricht: "Man geht mit Jesus innerlich den Leidensweg mit, kommt selbst zur Ruhe. Und dann diese starke Predigt. Das alles ist ganz großartig."

Ein letztes Vaterunser, der Segen. Vierzig Minuten hat die Andacht gedauert. Draußen ist es fast dunkel als ein langes Orgelpräludium von Bach erklingt und die Besucherinnen und Besucher in die Nacht verabschiedet.

Die Passionsandachten finden während der Fastenzeit, also von Aschermittwoch bis in die Karwoche, mittwochs um 18 Uhr statt. In diesem Jahre gestalten sie die Pastorinnen Simone Bremer, Birke Siggelkow-Berner sowie ihre Kollegen Wolfgang Mieter und Jan-Philipp Behr. Die Musik übernehmen Sängerinnen und Sänger des Bachchores unter Leitung von Kantor Karsten Lüdtke an der Orgel.

Jürgen Schindler,