Pressetermin in Heikendorf
© Jürgen Schindler
Pressegespräch in Heikendorf

Sexueller Missbrauch

Vieles bleibt offen, was 1972 bei einer Sommerfreizeit der Kirchengemeinde Heikendorf passiert ist.

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"Es ist für uns unbefriedigend, dass so vieles offen bleibt", bedauert die Kieler Pröpstin Almut Witt. "Und ich finde es beschämend, dass damals die Verantwortlichen die Ereignisse nicht nachvollziehbar und transparent aufgearbeitet haben", ergänzt Pastor Joachim Thieme-Hachmann aus Heikendorf. Die beiden Theologen hatten gehofft, näheres zu den Umständen von sexuellem Missbrauch im Jahr 1972 in Erfahrung bringen zu können.

Damals fuhren 14 Jungen mit der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Heikendorf zur Sommerfreizeit in die Nähe von Bremen. Offensichtlich verging sich dabei ein Ehrenamtlicher - vermutlich Pädagogikstudent - schwer an einem zehn Jahre alten Kind. Nach Bekanntwerden rief im Sommer 2022 die Kirchengemeinde zusammen mit dem Ev.-Luth. Kirchenkreis Altholstein Zeugen von damals auf, sich zu melden. Auch die Strafverfolgungsbehörden wurden eingeschaltet.

Pastor Thieme-Hachmann hat bis heute zehn Reaktionen erhalten: "Mit sieben Männern und Frauen habe ich Gespräche geführt, sowohl persönlich als auch am Telefon. Mit dreien war ich schriftlich in Kontakt." Alle Äußerungen deuten darauf hin, dass der mutmaßliche Täter sich weiteren Kindern mit sexuellen Absichten genähert hat. "Wir haben Hinweise auf zwei Jugendfreizeiten erhalten, in Dikjen Deel auf Sylt, wo es ebenfalls zu Zwischenfällen gekommen sein soll", berichtet Thieme-Hachmann. So schilderte ein Anrufer "Fummeleien unter der Dusche". In einem persönlichen Gespräch offenbarte ein damals zehnjähriger Teilnehmer, dass der Betreuer ihn Anfang der 1970er Jahre auf einer Freizeit eingeladen hatte, bei sich im Zimmer zu schlafen. "Dort musste sich der Junge ausziehen und zu dem ebenfalls nackten Betreuer in den Schlafsack legen. Er musste ihn streicheln und sich streicheln lassen. Das soll zwei bis drei Nächte so gegangen sein", gibt der Pastor aus dem Gespräch wieder.

Was aus den Reaktionen auf den Aufruf ebenfalls hervorgeht: Das Verhalten des ehrenamtlichen Betreuers war vor fünfzig Jahren in Heikendorf nicht unbemerkt geblieben. "Mehrere Zeugen haben bestätigt, dass das damals ein Thema war, manche Jungen haben sich gewehrt. Andere sagten wörtlich, dass sei damals normal gewesen. Einer erinnerte sich wage, dass Eltern zu Polizei gegangen wären", erklärt Pröpstin Almut Witt. Die leitende Geistliche des Ev.-Luth. Kirchenkreises Altholstein hat daraufhin noch einmal alle Archive durchsuchen lassen.

Doch weder finden sich in den Sitzungsprotokollen des damaligen Kirchenvorstandes Anmerkungen, noch sind weitere Teilnehmerlisten der Jugendfreizeiten vorhanden. "Aber es scheint so, als ob Druck auf den ehrenamtlichen Betreuer ausgeübt wurde. Eine Zeugin sagte uns, dass es irgendwann im Dorf geheißen habe: ‚Er ist aufgeflogen, er ist weg.‘", zitiert Witt.

Ein wunder Punkt bleibt in den Augen der leitenden Geistlichen, dass der ehrenamtliche Betreuer sich heute nicht den Behörden gegenüber verantworten muss. Kirchengemeinde und Kirchenkreis hatten im Sommer Strafanzeige gegen den namentlich bekannten Mann gestellt. "Doch die Staatsanwaltschaft hat das Verfahrungen eingestellt, mit dem Hinweis darauf, dass eventuelle Straftaten verjährt sein dürften", verweist die Pröpstin auf ein offizielles Schreiben.

"Für uns ist diese Angelegenheit damit nicht abgeschlossen, auch wenn wir jetzt nicht weiterkommen", betont Witt. Hinweise, egal zu welcher Sommerfreizeit Anfang der 1970er, seien nach wie vor willkommen. Unterstützung sagt auch Pastor Joachim Thieme-Hachmann zu: "Ich stehe jederzeit als Seelsorger zur Verfügung."

Jürgen Schindler,